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Es war einmal ein König, dem kam der Gedanke, dass er niemals einen Fehlschlag erleiden könnte, wenn er stets den richtigen Zeitpunkt wüsste, wann jedes Ding zu beginnen sei; wenn er wüsste, auf welche Menschen er hören sollte und auf welche nicht, und wenn er vor allem wüsste, welche Aufgabe die allerdringlichste sei.

Die Geschichte heute ist von Leo Tolstoi und trägt den Titel Drei Fragen. Sie liest sich in gewisser Weise ein bisschen wie ein altes Märchen, aber wie in vielen guten Geschichten gibt auch in dieser eine Schicht, die uns etwas Wichtiges für unser Leben sagen kann. In dieser Geschichte folgen wir einem König, der alles im Leben richtig machen möchte. Deshalb versucht er herauszufinden, ob es einen Menschen gibt, der ihm eine klare Antwort auf seine drei Fragen geben kann. Lass uns schauen, wie es ihm dabei geht.

Denkanstöße

Ich hoffe die Unterbrechung macht dir nichts aus, aber ich denke, es macht Sinn, hier kurz über das Gelesene nachzudenken, bevor wir den Eremiten treffen.

Was hältst du von den drei Fragen? Findest du sie auch so wichtig wie der König? Er möchte wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, um alles zu beginnen? Ist das überhaupt möglich? Gibt es so etwas wie einen richtigen Zeitpunkt für alles? – Und was ist mit seinen anderen Fragen?

Er möchte wissen, wer die richtigen Leute zum Zuhören in seinem Leben sind. Ich frage mich, was wir ihm raten könnten. Möglicherweise die Familie? Oder vielleicht denken wir doch an das alte Sprichwort: Freunde sind die Familie, die du dir selbst aussuchst! und raten ihm deshalb, lieber auf seine Freunde zu hören?

Und drittens möchte er wissen, was das Wichtigste im Leben ist. Wie würdest du ihm darauf antworten? Können wir ihm überhaupt darauf antworten? Woher sollte irgendein Mensch wissen, was ein anderer im Leben priorisieren sollte?

Na ja, das sind alles schwierige Fragen und der König erhält viele verschiedene Antworten, die ihn aber offensichtlich alle nicht zufriedenstellen. Lass uns weiterlesen und schauen, ob der Einsiedler ihm helfen kann.

Noch eine kleine Nachdenkpause …

Bevor wir im letzten Teil der Geschichte weiterlesen, könnte es sich lohnen, hier einen Moment über den Einsiedler nachzudenken … Wie reagiert der Einsiedler zum Beispiel auf die Anfragen des Königs? Und was machen wir wiederum damit, wie der König reagiert? Anstatt zum Beispiel wütend zu werden, wenn er keine Antwort erhält, bietet er an, dem Einsiedler beim Graben zu helfen. Und wie passt der bärtige Mann, der zur Hütte rennt, zu den Dingen? Ein Zufall?

Was sagst du zu diesem Ende? Wenn du der König wärst, würden die letzten Worte des Einsiedlers dich trösten oder eher frustrieren? In dem Moment denkt sich der König wahrscheinlich: Oh, gut, hab ich alles richtig gemacht. Im Nachhinein geht es uns ja auch machmal so, oder? Denn natürlich wird uns oft geraten, uns auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, aber manchmal kann es sehr schwierig sein, das auch zu tun … Und was ist mit der Aussage des Einsiedlers, dass die Person, mit der du gerade zusammen bist, die wichtigste Person ist, der du zuhören musst? Wenn ich ehrlich bin, ist das in der Praxis auch nicht so einfach. Wie geht es dir dabei?

Und was hältst du von der letzten Aussage, dass dem Menschen das Leben nur verliehen wurde, damit er dem Menschen, mit dem er gerade zusammen ist, Gutes tut? Was ist dann mit all unseren Träumen und Plänen und Zukunftsideen? Unnötige Fleißarbeit? – Wenn man die Worte des Einsiedlers wirklich konsequent im Leben umsetzen könnte/ würde/ wollte, dann wäre das eigentlich sehr tröstlich. Denn dann würde sich die Verwirrung im Leben, dann würden sich die vielen Fragen, Sorgen, Ängste, die uns pausenlos durch den Kopf schwirren, mit einem Schlag in Nichts auflösen. Das Leben würde einfach statt verheddert und kompliziert. Doch wem gelingt das? ….Zeit für ein Gedicht.

Interludium

Das Gedicht, das ich jetzt mit dir lesen möchte, ist von Emily Dickinson und handelt von Hilfsmitteln, Werkzeugen, Gerüsten, die man braucht, um ein Haus zu bauen. In der Geschichte, die wir gerade zusammen gelesen haben, hat der König versucht, die richtigen Werkzeuge zu finden, um das bestmögliche Leben aufzubauen. Ich denke, wir suchen alle nach Hinweisen und Tipps, die uns sozusagen in die richtige Richtung weisen könnten. Wir alle brauchen eine Zeitlang ein Gerüst, das uns Stabilität ermöglicht und uns den Rahmen gibt, innerhalb dessen wir wachsen können. Das Gedicht untersucht diese Gedanken auf seine eigene Art und Weise und fragt: Was hilft, ein Leben, ein Zuhause, ein Selbst zu schaffen? –

Wie immer möchte ich dich ermutigen, das Gedicht laut zu lesen. Und wie immer geht es nicht darum, herauszufinden, was die Dichterin wohl sagen wollte. Schau, ob dir etwas auffällt und ob dich etwas anspricht – was immer das Haus auch sein mag.

Denkanstöße

Wie findest du den Beginn des Gedichts? Ein Gerüst unterstützt beim Hausbau, ja, aber finden sich solche Gerüste, solche Hilfsmittel und Stützen auch in anderen Teilen unseres Lebens? Stützen oder Gerüste stehen normalerweise nicht im Mittelpunkt bei einem Hausbau. Ihre Arbeit wird im Rahmen eines größeren Werks oft übersehen oder schnell vergessen, aber hier werden sie doch als aktivierende und verändernde Kraft anerkannt, oder nicht?

Die zweite Hälfte des Gedichts ist etwas schwer zu verfolgen und würde zweifellos von einer erneuten Lektüre profitieren. Ist dir die Stelle aufgefallen, in der Haus aufhört, sich an den Augur und den Zimmermann zu erinnern? Diese Kombination ist doch sehr ungewöhnlich: Wir erhalten dabei das Bild von einem Menschen, der für den Bau, das Wachsen verantwortlich ist, und einem zweiten, der die zukünftige Entwicklung vorhersieht bzw. bestimmt. Ich frage mich auch, was von diesem Rückblick des Hauses zu halten ist. Wie lassen sich die Bretter und Nägel mit der Langsamkeit in Verbindung bringen? Wie viel wird hier erinnert, was in den Bau des Hauses geflossen ist? Und wie und wann kommen wir dann vom Bild eines Hauses zur Realität einer bewussten Seele? Vielleicht besitzen wir bereits die Werkzeuge, die wir brauchen, um ein Leben aufzubauen, haben sie aber irgendwie vergessen?

Kategorien: Literatur