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Silas Marner: Der Weber von Ravenoe

Wenn ich nur ein einziges Herz vorm Zerbrechen bewahren kann, werde ich nicht umsonst leben.

Emily Dickinson

Diese Woche ist dem Thema Freundlichkeit gewidmet. In diesem Auszug aus Silas Marner von George Eliot, treffen wir Silas, einen Weber, der gerade die Verantwortung für die Betreuung eines kleinen Kindes übernommen hat. Vorher litt Silas unter Einsamkeit und war kürzlich Opfer eines Einbruchs geworden. Aber anstelle seines Verdienstausfalls kommt das junge Waisenkind Eppie zu ihm. Das bedeutet eine große Veränderung für Silas, sodass er froh darüber ist, Hilfe von seiner Nachbarin, Dolly Winthrop, zu erhalten.

Mach dir wie immer unterwegs Notizen zu deinen Gedanken und Gefühlen und markiere dir Wörter oder Sätze, die dir besonders auffallen …

Denkanstöße

Wie fühlst du dich jetzt, nachdem du diesen Auszug gelesen hast? Gibt es bestimmte Zeilen im Text, die dich „anspringen“? Gleich zu Beginn werden wir Zeuge einer ziemlich intimen Situation. Vielleicht kennst du das Gefühl , wenn du zum ersten Mal etwas Wichtiges lernen und eine neue Rolle übernehmen musst, die dir vollkommen unbekannt ist? Lies noch einmal, wie Silas darauf reagiert, Vater zu werden:

Danke Euch … danke Euch recht freundlich«, sagte Silas zögernd. »Ich werd’ mich recht freuen, wenn Ihr mir alles sagt. Aber«, fügte er unruhig hinzu, indem er sich vornüberbeugte und mit einer gewissen Eifersucht zusah, wie die Kleine sich an Dorchens Arm schmiegte und ihn ganz zufrieden aus der Ferne ansah – »aber ich möchte alles selbst tun, sonst könnt’ sie wen anders liebhaben und mich nicht. Ich bin gewohnt im Hause allein zu wirtschaften – ich kann alles lernen, alles lernen.

Warum ist Silas eifersüchtig ? Und was bedeutet die Wiederholung von Ich kann lernen? Was lösen diese Worte in dir aus? Was hältst du von Dollys Antwort auf Silas und ihrer ganzen Art, wenn du an unser Thema Freundlichkeit denkst? Und kannst du seinen Zustand des Wandels und Lernens nachempfinden, einen Zustand, in dem du dich gleichermaßen aufgeregt und unsicher fühlst? Was könntest du in dieser Situation von anderen Menschen brauchen? Wie würdest du wollen, dass andere Menschen reagieren, damit sie dir eine Hilfe sind?

Es ist interessant, dass Silas, der noch nie ein Kind hatte, Eppie etwas geben möchte und sie als sein eigenes lieben und alles „richtig“ machen möchte. Er nimmt sie nicht nur auf und gibt ihr ein Heim, nein, er möchte auch noch ein richtig guter Vater sein. Aber er bekommt auch viel zurück. Wie beeinflusst Eppie sein Leben? Zum Beispiel heißt es:

Wie das Kind geistig heranwuchs, wuchs auch in ihm die Erinnerung wieder auf; wie ihr Leben sich entfaltete, so entfaltete sich nach langer Verdumpfung in einem kalten, engen Gefängnis auch seine Seele und erzitterte allmählich zu vollem Bewußtsein.

Obwohl Silas der Vater und Eppie die Tochter ist, lernen und entfalten sie sich gleichzeitig. Wie könnte es sich für Silas anfühlen, das kalte, enge Gefängnis zu verlassen? Und was könnte es bedeuten, dass seine Seele allmählich ins volle Bewusstsein zittert? Wissen wir, wie sich allmählich zittern anfühlt? Es ist, denke ich, auch wichtig, an Eppie als Ersatz für seinen Schatz zu denken und den letzten Absatz noch einmal zu lesen, der wunderbar beschreibt, wie Freundlichkeit aussehen könnte:

In alten Zeiten gab es Engel, die kamen und die Menschen bei der Hand nahmen und sie hinweg führten von der Stätte der Zerstörung. Engel mit weißen Flügeln erscheinen uns jetzt nicht mehr. Aber auch jetzt noch werden Menschen dem drohenden Untergange entrissen; eine Hand erfasst sie und führt sie sanft hinweg in ein schönes ruhiges Land, von dem sie nimmer rückwärts blicken, und die Hand ist vielleicht die eines kleinen Kindes.

Interludium: Wenn ich…

Manchmal fragen wir uns vielleicht: Was ist der Sinn meines Lebens? Was soll ich hier machen? Kommt dir das bekannt vor? Es kann frustrierend sein, wenn wir die Antwort nicht sofort erkennen, falls wir die Antwort überhaupt erkennen. Denn es braucht Zeit, um diesen Sinn zu finden, er kann sich auf dem Weg ändern und es wird auch unvermeidlich Zeiten geben, in denen wir uns wirklich verloren fühlen. Was sollen wir dann tun? Emily Dickinson gibt in ihrem Gedicht eine Antwort darauf. Möglicherweise könnte ja das einfache Vorhandensein auf der Welt und das Üben von Freundlichkeit Sinn genug sein?

Was meinst du dazu? Hast du irgendwelche Worte eingekreist? Ist dir etwas aufgefallen? Vielleicht möchtest du es als erste Antwort noch einmal lesen? Was ist von diesen ersten beiden Zeilen zu halten?

Denkanstöße

Wenn ich am Brechen hindern kann ein Herz, dann wird mein Leben nicht vergeblich sein.

Wie können wir verhindern, dass das Herz eines anderen bricht? Haben wir Beispiele aus unserem eigenen Leben? Das „Wenn“ fühlt sich irgendwie wichtig an, vielleicht wie eine Suche?

Wie schaut es mit den beiden Wörtern lindern und besänftigen aus? Bedeuten sie vielleicht, dass wir, obwohl wir den Schmerz oder die Schmerzen anderer möglicherweise nicht vollständig beseitigen können, sie dennoch auf irgendeine Weise unterstützen können? Kannst du dich an eine Zeit in deinem Leben erinnern, in der du versucht hast, den Schmerz eines anderen zu lindern oder zu besänftigen? Ist dir das gelungen? Kann das überhaupt gelingen? Und wie fühlst du dich, wenn dein Leben an Bedeutung gewinnt, wenn du anderen hilfst, mit ihrem Leben weiterzuleben?

Kategorien: Literatur