Didgeridoos, Traumfänger, Trommeln – das fällt dir vielleicht ein, wenn du an die australischen Aborigines denkst.

In jedem Esoterik-Shop findest du ähnliche Versatzstücke indigener Kulturen. Sie faszinieren, weil sie in uns eine Ahnung aufkommen lassen, wie sich ein Leben abseits unserer fragmentierten, westlichen, fortschrittlichen Welt anfühlen könnte.

Früher hatten wir Familie und Gemeinschaft, jetzt haben wir die Wirtschaft und die Regierung. Und sie versprechen, all die Dinge zu liefern, die das Land früher zur Verfügung gestellt hat, aber wir müssen ihnen dafür ein Drittel unseres Lebens verkaufen. Die Vereinbarung ist, dass wir ihnen ein Drittel unseres Lebens geben müssen. Ein weiteres Drittel müssen wir mit Schlafen verbringen, und von dem Drittel, das übrig bleibt, müssen wir einen beträchtlichen Teil mit Pendeln, Lebenserhaltungsaufgaben und dem Bezahlen unserer Rechnungen verbringen. Dafür – so versprechen sie – stellen wir dir diese kleinen beschissenen Innenräume zur Verfügung, Räume, in denen du schwere Dinge heben kannst, die nicht gehoben werden müssen, und auf einem Fahrrad paddeln kannst, das nirgendwohin führt, und rennen kannst, obwohl dich nichts verfolgt und du nichts jagst und du keine Eile hast. Du erledigst diese sinnlosen Aufgaben, und du wiederholst sie immer und immer wieder, bis du stirbst – und das nennt sich FORTSCHRITT.

T. Yunkaporta

Mit diesen Worten beschreibt der indigene australische Wissenschaftler und Autor Tyson Yunkaporta sehr anschaulich und pointiert unser heutiges Leben. Um in dieser westlichen Gesellschaft zu überleben, müssen wir uns an die dominante Erzählung (bezüglich Werten, Lebenszielen…) anpassen. Das gelingt dem einen besser, dem anderen schlechter. Doch es muss uns bewusst sein, dass alle unsere pathologischen Impulse nicht unsere eigentliche Natur sind, sondern nur Symptome, mit denen wir auf eine kranke Gesellschaft/ Umgebung/ System reagieren.

Gibt es eine Lösung?

Yunkaporta meint – nein. Wir können die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Erziehung… nicht von außen durch Druck und Zwang gerecht oder gesund machen. Dynamische, komplexe Systeme funktionieren nicht so, lineares Denken funktioniert bei komplexen Problemen nicht. Yunkaporta warnt uns sogar davor, Lösungen zu benennen, ihnen einen Namen, ein Label zu geben.

Sobald wir eine Idee haben und denken: Das ist eine wichtige Idee, jeder sollte sie kennen! Das sollten alle machen! – Sobald wir das tun, haben wir in diesem Moment eine Ideologie geschaffen und stecken in einem geschlossenen System fest.

Wir können laut Yunkaporta nur die Bedingungen für das Auftauchen von Lösungen fördern, sie auftauchen lassen und uns einfach integer verhalten

– und hoffen, dass andere das Gleiche tun.

Bezogen auf die Regierenden dieser Welt wäre für tragfähige Lösungen folgende Vorgehensweise notwendig:

  1. Zuerst muss der Gemeinschaft Respekt erwiesen werden,
  2. dann muss man sich mit den Menschen verbinden,
  3. danach wird genau überlegt
  4. und erst als Konsequenz daraus wird der Plan entwickelt.

Bemerkung am Rande: Ein Realitätscheck bei unseren Politkern und Experten hinsichtlich dieser Schritte wäre ernüchternd, oder was meinst du? (-;

In seinem Buch „Sand Talk“ lädt uns Yunkaporta ein, uns auf dieses indigene Denken einzulassen. Sand Talk betrachtet die Welt aus einer indigenen Perspektive. Es geht darum, den indigenen Wissensstandpunkt einzunehmen und durch diese Linse alles zu betrachten, was in der Welt vor sich geht. Es ist wie umgekehrte Anthropologie ….

Der Leser ist eingeladen, seine eigenen Geschichten und sein Wissen nebeneinander und dazwischen zu bringen und mit diesen verschiedenen Perspektiven zu experimentieren. Verwirrend, aber faszinierend!

Dabei ist es hilfreich bzw. notwendig, dass wir uns zweier Punkte immer bewusst sind:

  1. Jede Theorie ist falsch, kann aber in gewissen Kontexten nützlich sein. In einer komplexen Welt müssen wir uns gleichzeitig vieler Theorien bedienen.
  2. Jeder hat einen Standpunkt, der die Analyse formt, die durchgeführt wird. Wir können ihn nur nicht sehen, er ist für uns unsichtbar.

Die Aufgabe des Menschen

Für den indigenen, nicht „domestizierten“ Menschen wird nichts geschaffen oder zerstört. Schöpfung ereignet sich durch Verwandlung in jedem Augenblick und benötigt den Menschen als Hüter und Mitwirkenden. Mithilfe von Metaphern (Geschichten, Bilder, Tänze, Lieder, Rituale) verbindet er Erde und Himmelswelten und wird so zum Mitschöpfer. Jeder Stein, jeder Baum, jeder Windhauch, alle existierenden Dinge (wie Verkehrsampeln, Computer oder auch ein Virus) enthalten für die Aborigines Wissen und gehören zum großen Muster, das der Mensch lesen und deuten kann.

Am wichtigsten bzw. bedeutsamsten sind jedoch nicht die Erscheinungen an sich, sondern die Bindekräfte zwischen ihnen. Diese Bindekräfte halten laut Yunkaporta mit ihrer Energie die Schöpfung zusammen und unsere Aufgabe als Hüter und Mitschöpfer ist es, diese Beziehungen zu gestalten. –

Frage: Wie würde sich wohl unsere Gesellschaft verändern, wenn wir aus einem solchen Geist heraus handelten?

Weiter interessiert?

https://www.youtube.com/watch?v=JCzlgBbv5OY&t=288s